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Ausgabe 17/2024

Frankfurter Ortszeit: ein verfrühter Neujahrsgruß

Autor:in

Von: Dr. Ralf Gutfleisch

Veröffentlichungsdatum

18.12.2024


Viele Frankfurterinnen und Frankfurter feiern am 31. Dezember traditionell auf dem Eisernen Steg Silvester. Sobald die Uhr am Frankfurter Dom Mitternacht anzeigt und die Glocken läuten, schießen die Korken in die Höhe, und die Menschen liegen sich in den Armen, um das neue Jahr zu begrüßen. Genau genommen begehen sie es aber zu früh. Denn sie befinden sich nach der Frankfurter Ortszeit noch im alten Jahr. Danach ist es erst 23 Uhr 34 Minuten und 43 Sekunden. Daher beschäftigen wir uns zum Jahresende mit der Frankfurter Ortszeit.

Frankfurter Ortszeit

Die Zeitmessung wurde bei unseren Vorfahren mit dem Wechsel von Tag und Nacht und der Abfolge der Jahreszeiten verknüpft. Den Babyloniern wird es zugeschrieben, diesen Zeitablauf mit der Rotation der Erde verbunden zu haben. So nahmen sie die Einteilung des Tages in 24 Stunden vor – eine Erdumdrehung. Eine Stunde wurde wiederum in 60 Minuten bzw. 3.600 Teile (Sekunden) geteilt. Die Angabe der Tageszeit wurde auf den Stand der Sonne am Himmel bezogen und seit der Antike mithilfe einer Sonnenuhr gemessen. Ein Tag wird zwischen zwölf Uhr Mittag und zwölf Uhr Mittag des folgenden Tages definiert. Die Mittagszeit ist die Zeit des höchsten Sonnenstands. Dieser Stand ist bei allen Orten mit dem gleichen Längengrad identisch. Damit ist auch die Mittagszeit in diesen Orten gleich. Da sich die Erde alle vier Minuten um ein Grad dreht (360° in 24 Stunden), verschiebt sich auch die Zwölf-Uhr-Grenze mit ihr. Der Längengrad ist somit entscheidend dafür, welche Ortszeit ein Ort hat. Sie wird auch als wahre Ortszeit (WOZ) bezeichnet.1

Frankfurter Äquatorialsonnenuhr

Quelle: Eva Kröcher, GNU Lizenz

Die ringförmige Äquatorialsonnenuhr ist eine Weltuhr. Darstellung der Orts- und Zonenzeit, der Mitteleuropäischen Zeit sowie der wahren Ortszeit von Frankfurt und weiterer zweihundert internationaler Orte. Bei ihrer Einweihung im Jahre 1951 galt die Frankfurter Äquatorialsonnenuhr als größte Sonnenuhr ihrer Art weltweit.2

Längengrad und Domspitze

Die Ortszeit wird mit dem Längengrad des geografischen Mittelpunktes eines Ortes ermittelt. Dieser liegt in Frankfurt heute im Bereich des Von-Bernus-Parks in der Salvador-Allende-Straße. Da sich das Stadtgebiet im Laufe der Jahrhunderte durch Eingemeindungen verändert hat und damit auch der geografische Mittelpunkt, wurde der Dom im historischen Zentrum der Stadt als Orientierungspunkt festgelegt. Die Domspitze liegt bei 50 Grad 6 Minuten und 38,3 Sekunden nördlicher Breite und bei 8 Grad 41 Minuten und 6 Sekunden östlicher Länge. Dadurch bleibt die Frankfurter Ortszeit gegenüber der Mitteleuropäischen Zeit (MEZ) um 25 Minuten und 17 Sekunden zurück.3

Topografie mit Höhen- und Mittelpunkten

Quelle: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main, Stand März 2022; Straßenverzeichnis Frankfurt a.M.2024 4

Bezeichnung Beschreibung
geografischer Mittelpunkt Der geografische Mittelpunkt ergibt sich aus dem Mittelwert der Koordinaten des nördlichsten und südlichsten sowie des östlichsten und westlichsten Punktes der Frankfurter Stadtgrenze. Dieser liegt im Bereich des Von-Bernus-Parks in der Salvador-Allende-Straße.
physikalischer Mittelpunkt In die Berechnung des physikalischen Mittelpunktes geht die Fläche des Stadtgebietes mit allen Koordinaten der Stadtgrenze ein. Als ebene Platte könnte das Stadtgebiet in diesem Punkt, der auch als Flächenschwerpunkt bezeichnet wird, ausbalanciert werden. Dieser befindet sich in der Robert-Mayer-Straße 55.

Ortszeit und Eisenbahn

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren grobe Tageszeiten als Angaben vollkommen ausreichend, da die Beförderung von Personen und der Transport von Waren über größere Entfernungen mit vielen Ungewissheiten verbunden war. Nationale wie internationale Vereinbarungen zur Zeitrechnung gab es noch nicht. Erst die Einführung der Telegraphie und der Eisenbahn, mit der auch große Distanzen schneller überwunden werden konnten, machte eine Standardisierung der Zeit notwendig.

In atemberaubender Geschwindigkeit wurde das Schienennetz ausgebaut und der Austausch zwischen den Regionen vorangetrieben. Nachdem 1835 zwischen Nürnberg und Fürth die ersten sechs Kilometer Eisenbahn fertiggestellt worden waren, wurden fünf Jahre später bereits etwa 500 Kilometer Schiene im deutschen Staatsgebiet befahren. Weitere zehn Jahre später gab es ca. 6.000 und 1870 rund 18.000 Kilometer Schiene.5

Frankfurt hielt bei der Entwicklung Schritt. Bereits 1839 wurde der erste Bahnhof, der Taunus-Bahnhof, eröffnet. Der Bahnhof war einer der beiden Endpunkte von Hessens erster Eisenbahnlinie, die von Frankfurt nach Wiesbaden führte. Sukzessive entstanden weitere Bahnhöfe in der Stadt. Die drei im Westen befindlichen Bahnhöfe reichten jedoch bald nicht mehr aus. Sie wurden zugunsten des Centralbahnhofs, der heutige Hauptbahnhof, abgebrochen. Er wurde 1888 eingeweiht und war der bis dahin größte Bahnhof in Europa.

Mit dem Ausbau wurden jedoch auch die unterschiedlichen lokalen Ortszeiten zunehmend zu einem Problem.

Zeitunterschiede und Fahrzeiten

Zunächst richteten die Bahngesellschaften ihre Fahrpläne an der auf ihrer Hauptstation gültigen Ortszeit aus. Die Reisenden mussten daher wissen, woher der Zug kam und welche Uhrzeit dort maßgeblich war. Zusätzlich war es erforderlich, die Fahrzeit zu berechnen und den Zeitunterschied zur eigenen Ortszeit einzubeziehen. Um wiederum die Fahrzeit zu ermitteln, wurden Ortsentfernungen mithilfe von Gehstunden als gängiges Referenzmaß angegeben. So wurde die Eisenbahnfahrt 1849 von Frankfurt nach Mainz mit neun Gehstunden angegeben. Acht Gehstunden entsprachen einer Fahrstunde, sodass die Eisenbahnfahrt den Weg in die Nachbarstadt deutlich verkürzte, auch wenn die Berechnungen zur Abfahrt des Zuges schwierig waren.6

Historische Tabelle der Ortsentfernungen

Quelle: DB Museum Nürnberg

Als schließlich mehrere Bahngesellschaften eine Stadt anfuhren, wurde auch diese Herangehensweise hinfällig. Daher entschlossen sich die großen Eisenbahngesellschaften des Deutschen Bundes um 1860, sogenannte Länderzeiten einzurichten. Damit wurden auch die ersten Zeitzonen überhaupt gebildet. Fünf unterschiedliche Zonen wurden festgelegt, in denen die Ortszeiten der jeweiligen Hauptstädte galten. Für Preußen und in deren Einflussgebiet galt die Berliner Zeit, bei den Bayerischen Eisenbahnen die Münchner Zeit, bei den Württembergischen die Stuttgarter, bei den Pfälzischen die Ludwigshafener und bei den Badenern die Karlsruher Zeit.

Mindestens zwei Städte fielen heraus, die Verfechter der eigenen Ortszeit waren und die sich damit vorerst auch durchsetzen konnten: Frankfurt und Leipzig. Dies hatte jedoch zur Konsequenz, dass zur Orientierung der Reisenden in den Bahnhöfen meist mehrere Uhren mit den jeweiligen Ortszeiten angebracht werden mussten.

Neue Zeit

Beschleunigt wurde der Abgesang der Ortszeit, als im Oktober 1884 in Washington, D.C., rund 25 Staaten, darunter auch das Deutsche Reich, sich über Greenwich als den „Ausgangspunkt für das Gradnetz” einer global gültigen Stundenzonenzeit einigten. Die Erde wird damit bis heute in 24 Zeitzonen von je 15 Grad Länge unterteilt. Die einzelnen Zonen unterscheiden sich von den benachbarten um genau eine Stunde, während die Minuten und Sekunden überall gleich sind. Damit konnte eine einheitliche Zeitrechnung vorgenommen werden.

Die deutschen Staatsbahnen beschlossen daraufhin 1891, die Zeit des 15. Längengrades östlich von Greenwich auf sämtlichen Eisenbahnen einzuführen und diese erstmalig als Mitteleuropäische Zeit zu bezeichnen. Der Längengrad verlief mitten durch das damalige Reichsgebiet und die Zeitabweichungen waren zu den Grenzen gering. Der Wirrwarr um die Uhrzeit war zumindest bei der Eisenbahn nunmehr beseitigt.

Als ob die Architekten des Frankfurter Hauptbahnhofes (Hermann Eggert und Johann Schwedler) die Einigung auf eine gemeinsame Uhrzeit geahnt hatten, wurde drei Jahre zuvor nur eine Uhr an der Fassade angebracht.7

Frankfurter Bahnhofsgebäude

Quelle: DB Station & Service, Foto: G.T. Baier

Gesetzliche Regelung

Während sich die staatlichen Bahnen geeinigt hatten, diskutierten im Parlament die Befürworter und die Gegner der deutschen Einheitszeit noch miteinander. So berichtete die Frankfurter Zeitung am 24. Januar 1893 ausführlich über die Gesetzesinitiative zur Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung. Argumente von der „Überhebung der Gesetzgebung über die Natur” über den „Konflikt mit den Bestimmungen der Gewerbeordnung” bis hin zu „negativen Einflüssen auf die Gesundheit” wurden von den Parlamentariern ausgetauscht. Zudem wurde die Frage gestellt, ob eine deutsche Einheitszeit überhaupt gesetzlich festgelegt werde dürfe.

Der wirtschaftliche Nutzen wurde schließlich bei der Abstimmung im Reichstag insgesamt höher eingeschätzt als die geäußerten Bedenken. Hervorgehoben wurden zudem die Vorteile für die militärische Mobilmachung, für die eine im gesamten Reich geltende Einheitszeit Zeitersparnis bedeutete.

So trat am 1. April 1893 ein von Kaiser Wilhelm II. unterzeichnetes Gesetz in Kraft, mit dem die “mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich” im gesamten Deutschen Reich zur einzig gültigen Uhrzeit bestimmt wurde. Die Ortszeit trat seither – auch in Frankfurt – in den Hintergrund, obwohl sie weiterhin Bestand hat.

Egal, ob Sie dieses Jahr nach der Mitteleuropäischen Zeit oder nach der Frankfurter Ortszeit verabschieden:

Fußnoten

  1. BLAISE, Clark, 2001. Die Zähmung der Zeit: Sir Sandford Fleming und die Erfindung der Weltzeit. Frankfurt am Main: S. Fischer↩︎

  2. KRIEGLER, Reinhold R. 2005: Vom Nizza zur Schönen Aussicht: die Frankfurter Äquatorial-Sonnenuhr von Lothar M. Loske. In: Deutsche Gesellschaft für Chronometrie. Jahresschrift. 2005, S. 185–190.↩︎

  3. BÜRGERAMT, STATISTIK UND WAHLEN, 2024. Straßenverzeichnis 2024. Frankfurt am Main: Bürgeramt, Statistik und Wahlen.↩︎

  4. BÜRGERAMT, STATISTIK UND WAHLEN, 2024. Straßenverzeichnis 2024. Frankfurt am Main: Bürgeramt, Statistik und Wahlen.↩︎

  5. FÖHRENBACH, Tobias, 2022. Zug um Zug zur MEZ: Wie es sich begab, dass ganz Bayern in derselben Zeitzone liegt [online]. München: Bayerischer Rundfunk [Zugriff am: 25.11.2024]. Verfügbar unter https://www.br.de/radio/bayern2/zug-um-zug-zur-mez-wie-es-sich-begab-dass-ganz-bayern-in-derselben-zeitzone-liegt-100.html↩︎

  6. FÖHRENBACH, Tobias, 2022. Zug um Zug zur MEZ: Wie es sich begab, dass ganz Bayern in derselben Zeitzone liegt [online]. München: Bayerischer Rundfunk [Zugriff am: 25.11.2024]. Verfügbar unter https://www.br.de/radio/bayern2/zug-um-zug-zur-mez-wie-es-sich-begab-dass-ganz-bayern-in-derselben-zeitzone-liegt-100.html↩︎

  7. ROTHAUGE,Caroline, 2020: Zur Einführung der Mitteleuropäischen Zeit im deutschen Kaiserreich 1893. Temporale Transformationsprozesse in verflechtungsgeschichtlicher Perspektive. In: Themenportal Europäische Geschichte [online]. Berlin: clio-online [Zugriff am: 25.11.2024]. Verfügbar unter https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-29052↩︎

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